Mehr als nur Blogs: Warum wir ein neues “Mitmach-Web” für Jung und Alt brauchen
Die Tage haben Lars und ich bei #9vor9 mit Thomas Riedel, Droidboy, Initiator der Bloggerkonferenz und der Meetup-Serie Blogtastisch gesprochen. Er ist einer derjenigen, die gerade der Bloggerei, der Blogosphäre oder wie auch immer wir es nennen wollen, neues Leben einzuhauchen versuchen. Und da ist ja auch gefühlt wieder deutlich mehr Leben drin. So nehme ich es zumindest wahr.
Auch ich bin jetzt wieder viel stärker mit anderen Bloggerinnen und Bloggern vernetzt und achte ganz bewusst darauf, mit ihnen zu „interagieren“. Oder mal nicht so großkotzig formuliert: Wenn mich Inhalte und Beiträge packen, dann teile ich sie bewusst in meinen sozialen Kanälen oder ich kommentiere direkt in den Kommentarspalten der Blogs, packe Links und Bemerkungen in meine Wochenschau.
Blogosphäre reanimiert? Nein, tot war sie nie
Die gerade stattfindende stärkere Vernetzung der Bloggerinnen und Blogger finde ich gut. Danke an Thomas und auch Thomas, also den Gigold-Thomas mit seinem UberBlogr-Ring. Danke an Annette Schwindt für die Aktion #SoSollWeb und die Bloggespräche. Und wir, Lars und ich, wollen das Thema ja auch ein bisschen mit unseren bescheidenen Mitteln pushen, indem wir regelmäßig Bloggerinnen und Blogger vorstellen. Vorschläge, wen wir einladen sollten, sind hier immer willkommen.
Ich finde all das toll und freue mich, viele von Euch in Berlin auf der re:publica zu treffen, mit Euch zu plaudern, zu diskutieren, vielleicht ein Käffchen zu trinken und zum Bloggertreffen der Generationen dort zusammenzukommen. Und jetzt kommt mein Punkt, den wir auch zusammen mit Thomas Riedel bei #9vor9 diskutiert haben. Ohne irgendjemand nahe treten zu wollen, ist die Bloggerszene, in der ich mich momentan bewege, ein Kreis älterer, gesettlter, bejahrter Nerds beiderlei Geschlechts, zugespitzt alter weißer, manchmal auch weiser Menschen.
Nicht nur Blogs: Das Netz der Mitmachenden, jung und älter
Da ist auch an sich gar nicht schlimm. Jedoch müssen wir aus meiner Sicht aus unserem eigenen Saft heraus und vor allem auch in Austausch mit Jüngeren kommen. Die sind halt in der Regel nicht am Bloggen und würden sich auch wohl nie als Blogger bezeichnen. Die erstellen vielleicht Bilder auf Insta und Videos auf TikTok. Es gibt sie aber sicher, die, die auch ein offenes Netz wollen, in dem man sich ohne Hass und Hetze auf Basis einer gesitteten Diskussionskultur austauscht.
Thomas wird die Blogosphäre wiederbeleben. Das ist wichtig. Ich glaube aber, dass wir darüber hinausgehen und auch einen anderen Begriff dafür finden müssen, um auch Jüngere zu erreichen: Podcaster, YouTuber, Fotografinnen und Fotografen, Newsletter-Publizierende, Content Creators aller Generationen, name it. Früher haben wir mal vom Mitmach-Web gesprochen und geschrieben, sogar versucht, dafür „Regeln“ aufzustellen.
Wie stellt sich ein demokratisches Netz gerade heute auf?
Vielleicht müssen wir wieder einen solchen Begriff finden, mit dem sich alle, die das Netz als Ort eines fairen, demokratischen und zwischenmenschlichen Austauschs sehen, identifizieren können. Vielleicht ist das auch ein Thema, das wir in Berlin diskutieren sollten. Wie stellt sich ein demokratisches Netz gerade heute auf?
Und ja, wir haben natürlich weiterhin die kritische Frage, auf welchen Plattformen sich die Technokraten und Oligarchen bewegen, die die „Mitmachen-Webber“ unterstützen. Bloggerinnen und Blogger haben sich bewusst für unsere eigene kleine Webpräsenz entschieden, deren Inhalte wir besitzen. Andere bewegen sich auf TikTok, auf Instagram oder YouTube und publizieren auch dort ihre Inhalte. Das kann man nun schlecht finden, es wird aber herausfordernd sein, sie von einer Abkehr von diesen Plattformen zu überzeugen. Reichweite, Freundes- und Follower-Netzwerk sowie die eigene Bubble mögen gegen eine Abkehr sprechen. Da mögen noch so viele Prominente bei #SaveSocial – Soziale Netzwerke als demokratische Kraft retten mitmachen.
Fediverse – so richtig ermutigend ist die Entwicklung leider nicht
Die valide technische Plattform für ein Mitmach-Web wäre sicherlich das Fediverse mit seiner dezentralen, offenen Struktur. Bis das jedoch an wirklicher Bedeutung und wirklicher Reichweite gewinnt, kann es dauern – wenn überhaupt. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben und oft darüber gesprochen und geschrieben wie hier bei #9vor9, aber so wirklich ermutigend sind die Perspektiven nicht.
Auch gibt es weiterhin durchaus die Gruppierungen im Fediverse, die gar nicht wollen, dass sich Mastodon & Co. gegenüber breiteren Nutzerschichten öffnen, die lieber ihr heiles, nerdiges und vermeintlich hassfreies Universum bewahren wollen.
Die Frage der Unabhängigkeit von den großen Plattformbetreibern muss aus meiner Sicht gestellt werden, wenn man über ein demokratischeres, hassfreieres Netz spricht. Ich weiß, dass es auch hier Meinungen gibt, die darauf setzen, die kommerziellen Plattformen von innen zu zersetzen und zu demokratisieren. Man habe keine Chance angesichts der Nutzerzahlen, Reichweite und Finanzkraft eines Zuckerbergs, Musks oder von Google und Microsoft. Deshalb gebe es keine Alternative, als den Weg zu gehen, deren Plattformen zu zermürben. Daran glaube ich nicht. Sicherlich ein kontroverses und zu diskutierendes Thema.
Wider der Verschlimmscheißerung von allem, für …
In der Zeit ist ein langer, lesenswerter Artikel von Cory Doctorow, Science-Fiction-Autor, Journalist, Blogger, Sonderberater der Electronic Frontier Foundation und Gastprofessor für Computerwissenschaften an der Open University, über die Verschlimmscheißerung von allem erschienen. Er schließt seinen Beitrag wie folgt:
Ein neues gutes Internet ist möglich und nötig. Wir können es bauen, mit der ganzen technologischen Selbstbestimmung des alten guten Internets und zusätzlich der Leichtigkeit des Web 2.0.
Ein Ort, an dem wir einander finden, uns koordinieren und mobilisieren können, um gegen Klimawandel, Faschismus, Völkermord und Autoritarismus Widerstand zu leisten und am Leben zu bleiben. Wir können dieses neue gute Internet bauen, und wir müssen es tun.
Idealistisch? Ja. Na und.
Unser Videocast & Podcast mit Thomas Riedel
Hier unser Gespräch auf YouTube und die Audioversion als Podcast:
https://youtu.be/R7ZgE_Vrda0?si=sZkSQOzspA0sPoub
https://9vor9.podigee.io/172-bloggerkonferenz-thomas-riedel
Regeln des Mitmach-Webs von 2009
- Sei aktuell.
- Sei relevant und biete Qualität.
- Sei – wo sinnvoll – originell und witzig. (Ich weiß, schwierig)
- Sei authentisch und persönlich.
- Denk dran: Das Mitmach-Web ist freiwillig.
- Höre zu. (Ganz wichtig!)
- Sei bereit für offene, fairen Diskurs, für Diskussion und Interaktion.
- Sei kritikfähig.
Dazu stehe ich noch immer. Es klingt und ist idealistisch. Halt ein bisschen digital naiv, vielleicht hoffnungslos, wie es Jörg Schieb damals geschrieben hat. Doch: „Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, das Web zu einem besseren Ort zu machen,“ meint nicht nur Tim Berners-Lee.