Kritischer Fehlschlag<p><strong>Spielergezeichnete Karten: Ist das Kunst oder kann das weg?</strong></p><p>Sollten die Spieler:innen einer Kampagne die Karten zeichnen oder lieber nicht? Ganz einfache Frage, aber daran scheiden sich ein bisschen die Geister. Ich möchte hier für ein Nein argumentieren, trotz all meiner nostalgischen Sympathie fürs Kartenzeichnen.</p><p>Als junger Spieler von BECMI D&D, AD&D 2 und DSA in den 90er Jahren habe ich das Kartenzeichnen geliebt. In unseren Runden habe ich das fast immer übernommen und konnte das auch gut. Wenn ich geleitet habe, hat einer der anderen Spieler die Karten gezeichnet. Kartenzeichnen war ein ganz normaler Bestandteil des Spiels, der ganz natürlich dazu gehörte. Und handgezeichnete Karten haben einfach eine so tolle Ästhetik!</p><p>Durch Umzüge, neue Lebensumstände und neue Technologien spiele ich jetzt fast nur noch online mit VTTs. (Das ist nicht ideal, aber besser so als gar nicht…) In den Runden, in denen ich mitspielte, gab es tolle Karten aus offiziellen Abenteuern, die mit Fog of War und Dynamic Lighting aufgedeckt wurden. Plötzlich wurde nicht mehr kartiert, fiel mir dabei auf und ich vermisste es.</p><p>Als ich 2022 die erste Runde meiner <a href="https://kritischerfehlschlag.de/2024/06/15/die-magie-des-zweiten-mals/" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">Erde & Wasser-Kampagne</a> begann, war mir klar: Die Spieler:innen sollen selbst die Karten zeichnen. Ich hatte in der Zeit davor viel an OSR-Material gelesen und das Kartenzeichnen schien mir ein integraler Bestandteil der entsprechenden Spielerfahrung zu sein (auch wenn wir Erde & Wasser mit 5E bespielten). Das Kartieren braucht Zeit und Licht, was für die Spielenden ein Risiko bedeutet, durch Fehler auf der Karte können interessante Spielsituationen entstehen, und durch das selber Kartieren erlernt man seine Umgebung aktiv – so die Überlegung. Und so kämpfte sich die Gruppe durch circa 35 Sitzungen, in der einer von ihnen rührig alles, was ich Ihnen beschrieb, in einem OneNote-Dokumente mitzeichnete. Die Kampagne war gut und wir hatten Spaß.</p><p>Aber vom Kartenzeichnen durch Spieler:innen war ich hinterher nicht mehr überzeugt. Bei jedem Raum raubte es Zeit, dem Kartographen die Dimensionen des Raums zu beschreiben, wo die Ausgänge waren usw. Das war nie wahnsinnig viel Zeit pro Raum, aber es summierte sich einfach auf; außerdem merkte man, dass die anderen Spieler:innen in diesen Phasen abschalteten. Nicht zuletzt bemerkte ich bei mir selbst, dass ich mir immer “einfachere” Räume ausdachte. Alles war nur noch rechteckig oder rund; Schrägen oder Winkel vermied ich dagegen, weil ich selbst kaum wusste, wie ich das knapp so beschreiben konnte, damit es der tapfere Kartograph auf Anhieb verstehen würde. Interessante Gameplay-Situationen ergaben sich dadurch auch nicht. Die Karte wurde nach und nach zu einer Art Herrschaftswissen des Kartenzeichners, der sie hervorragend kannte; dafür hatten alle anderen nur ein begrenztes Wissen darüber. “Wir wollen nochmal zu den Mykoniden”, sagten sie, “Beleron entscheidet den Weg dahin.”</p><p>Das war einerseits unbefriedigend für mich und die Spielenden, es war auch ineffektiv. Und dann hatte ich so einen Glühbirne-über-dem-Kopf-Moment, wo alles in einer Theorie zusammenkam: </p><ol><li>Als Spielleitung haben wir stets das Problem, wie man den Spielenden Informationen vermittelt. Sprache ist das übliche Mittel, aber es geht auch über Handouts, Karten, Bilder, Musik, Props etc. Je mehr Informationen wir vermitteln können, um so homogener ist das geteilte Gedankenbild und um so weniger Missverständnisse gibt es. (Aus genuinen Missverständnissen entsteht nach meiner Erfahrung nie interessantes Spiel – das ist nochmal einen eigenen Post.) </li><li>Die Mitteln von Sprache zur Informationsvermittlung sind begrenzt. Sprache ist sehr vielseitig und flexibel, aber die Zuhörenden können nur bestimmte Mengen davon verarbeiten. Die <a href="https://dysonlogos.blog/2013/09/29/the-dreaded-boxed-text/" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">anekdotische Evidenz</a> sagt, dass Spieler:innen bei mehr als zwei Sätzen Beschreibung nicht mehr alle Details behalten können. (Das wäre mal eine systematische Studie wert!)</li></ol><p>Der Umkehrschluss aus 1+2 ist also, dass wir als Spielleitungen <strong>alle Kanäle nutzen sollten, um den Spieler:innen ein möglichst detailreiches und genaues Bild zu vermitteln, ohne sie dabei auf einem einzigen Kanal zu überwältigen.</strong></p><p>Und damit zurück zur Ausgangsfrage: Ich zeige meinen Spieler:innen inzwischen Karten auf dem VTT, die ich mit Fog of War aufdecke. Ich zeige ihnen Bilder von NSCs und Szenerien, gebe Handouts u.v.m. Screenshots, die in unseren Discord gepostet werden, sorgen für Verfügbarkeit auch außerhalb des Spiels. So wissen alle, wie der Raum aussieht, können den Verlauf ihrer Reisen besser mitverfolgen und ich kann mich auch wieder trauen, komisch geformte Räume einzusetzen, ohne mich in Beschreibungen zu verheddern, dass das Vestibül 10 Fuß weiter östlich ist, nein <em>östlich</em>, nicht westlich, und wie du weißt nicht was ein Vestibül ist…?</p><p></p><p><a rel="nofollow noopener noreferrer" class="hashtag u-tag u-category" href="https://kritischerfehlschlag.de/tag/oldschool/" target="_blank">#Oldschool</a> <a rel="nofollow noopener noreferrer" class="hashtag u-tag u-category" href="https://kritischerfehlschlag.de/tag/osr/" target="_blank">#OSR</a> <a rel="nofollow noopener noreferrer" class="hashtag u-tag u-category" href="https://kritischerfehlschlag.de/tag/pen-paper/" target="_blank">#PenPaper</a> <a rel="nofollow noopener noreferrer" class="hashtag u-tag u-category" href="https://kritischerfehlschlag.de/tag/pnpde/" target="_blank">#pnpde</a> <a rel="nofollow noopener noreferrer" class="hashtag u-tag u-category" href="https://kritischerfehlschlag.de/tag/rollenspiel/" target="_blank">#Rollenspiel</a></p>